Das Böse Management. Ein Missverständnis in 5 Akten.

Prolog. Die beiden Schwestern Agilität und Selbstorganisation treffen auf der Mitte der Bühne auf den älteren Bruder Management. „Du bist zu alt und auch nicht mehr zeitgemäß. Weg mit dir!“ Das Management schaut beschämt zu Boden, guckt bedröppelt und geht von der Bühne. Applaus vom Publikum.

Erster Akt. Auftritt des Protagonisten

Es ist das Jahr 2011. Steve Jobs letztes Interview. Der Gründer von Next und Apple mit damals ca 60.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von etwa 100 Mrd. $ sitzt in einem roten Ledersessel und rekapituliert seine berühmten Managementthesen. Eine Vision zu haben sei das wichtigste. Man solle nur die besten Leute einstellen. Design sei weit mehr als nur die Produktverpackung. Die Gedanken zünden nicht recht, zu häufig hat er sie schon öffentlich formuliert. Dann jedoch ein kurzes Räuspern, Jobs hält kurz inne, so als koste es ihn Kraft das Folgende zu benennen. Eine kurze Schweigepause tritt ein. Dann spricht er:

„Wir haben viel richtig gemacht bei Apple. Aber in einem haben wir uns geirrt. Unser Organisationsprinzip ist nicht mehr zeitgemäß.Wir müssen das Management abschaffen. Und wir müssen es schnell tun. Sonst verlieren wir an Innovationskraft und die besten Leute kommen mit ihren Ideen nicht mehr durch.“

Im Rest des Interviews erklärt Jobs ausführlich wie Management jede Form von Erfindungsreichtum verhindert, Kundennähe unmöglich macht und lähmende Arbeitsbedingungen fördert, die das Potential der Mitarbeitenden ersticken. Das Gespräch endet mit Jobs feurigem Plädoyer für eine agile Organisation ohne Manager, Abteilungen und Eckbüros nach 11.14 Minuten.

Ich habe dieses Interview nicht gesehen. Denn es hat nie stattgefunden. Und es gibt noch ein Problem damit: Die erfolgreichsten Unternehmen der Welt mögen Management. Auch Apple.

Zweiter Akt. Auftritt der Benchmarkkönige.

Wenn wir Erfolg an Umsatz, Gewinn und Innovationsfähigkeit messen, ist Apple eine der erfolgreichsten Firmen der Welt. Auch Nichtjünger dürfen zugeben: Apple schafft es immer und immer wieder Märkte neu zu erschaffen, das Leben von Menschen mit Hilfe von Technologie zu verändern und Dinge zu tun die jetzt als selbstverständlich, vormals jedoch als nah am Wahnsinn gegolten haben. Doch nicht nur Apple. Ähnliches könnte man auch Amazon, Google oder Tesla attestieren. Ganz gleich wie man zu den Produkten dieser Firmen steht: sie haben in ihren jeweiligen Bereichen Maßstäbe gesetzt. Mehrfach. Und tun dies weiterhin. Amazon war mal eine Plattform auf der ausschließlich Bücher verkauft wurden. Google hat als Website mit einem leeren Suchfeld angefangen. Und Tesla startete als bessere Tuner-Werkstatt für den Lotus Elite. Lange her.

Kurzum: Diese Unternehmen sind äußerst erfolgreich, sehr groß und gelten in ihren Branchen und weit darüber hinaus als herausragende Beispiele für Vieles. Eines jedoch sicher nicht: Verkrustete, innovationsfeindliche Strukturen. Es gibt da nur diesen einen, sehr großen und daher leicht zu übersehenden Haken:

Apple, Google, Tesla und Amazon arbeiten alle mit hochausgefeilten Managementpraktiken. Mehr noch: Sie haben Management perfektioniert.

Wie aber kann dies sein? Wird nicht jede Woche ein New Work Kongress eröffnet? Spricht nicht die halbe Führungswelt von Selbstorganisation, Abbau von Hierarchien, manche sogar von der Abschaffung von Managementtiteln, Abteilungen und der Pyramidenorganisation? Malt nicht jeder Berater der etwas auf sich hält innere und äußere Kreise als neues Organigrammparadigma? Und dann schaut man auf diese Konzerne. Recht erfolgreich. Bestandsaufnahme:

  • Managertitel? Check.
  • Abteilungen vorhanden? Check.
  • Controlling vorhanden? Check. (bei Tesla wohl teils vernachlässigt…)
  • Angst vor der Zukunft? Kreuz.
  • Eckbüros? Durchaus, häufiger aber schöner designed

 

Wie.

Kann.

Das.

Sein?

Dritter Akt. Auftritt des gescholtenen F.W. Taylor.

Der Mann ist alt geworden. Sein viel zitiertes Buch „The Principles of Scientific Management“ erschien 1911 und beschreibt auf gut 80 Seiten wie ein Managementsystem aussehen kann. Zusammengefasst konzentriert er sich auf wenige Prinzipien, die Organisationen befolgen sollten.

Die Intention: Aus Taylors Monographie wird eines ganz deutlich: Es ging ihm vor allen Dingen um die Etablierung von wissenschaftlich (messbar) ergründetem Vorgehen bei der Problemlösung. Weg mit try and error. Hin zu: Wir haben darüber nachgedacht, vorgeplant, gemessen und erprobt. Und „wir“ heißt die, die es damals konnten. Das waren anno domini 1911 nicht viele. Sonst hätten es die Arbeiter selbst gemacht.

Der Kern: Pi mal Daumen Ausführungen durch erprobte „wissenschaftliche“Methoden ersetzten. Wenige Planen, Machen, Messen. Und übergeben dann an diejenigen die ausführen. Adäquates Trainieren und Entwickeln der Mitarbeiter einführen. Noch etwas? Ja: Einen guten Austausch zwischen Management und Mitarbeitern herstellen.

Das Missverständnis: Eine Pyramidenform ist nirgendwo in dem Werk gezeichnet. Auch nicht auf der Rückseite, ich habe nachgesehen. Es gibt kein Gebot fähige Mitarbeiter in geistiger Knechtschaft zu halten. Auch findet sich kein Verbot diese Prinzipien auf sich verändernde Umweltbedingungen anzupassen, beispielsweise darauf, dass immer mehr Menschen keinen Stahl in Schubkarren transportieren, sondern komplexe Probleme lösen. Dennoch wenden wir seine Idee des one-best way, vorgedacht von denen die es können und überbracht an jene die ausführen, heute großflächig an. Wir haben schlicht verpasst den Kern seiner Vorschläge des wissenschaftlich begründeten und messbaren Vorgehens auf heute anzupassen. Experiment: Was wenn Taylor heute noch Leben würde? Vermutlich würde er sehr sehr stolz sein. Auf Google zum Beispiel. Weshalb?

Google hat es geschafft Taylors wissenschaftliche, alles messende und nachverfolgende Vorgehensweise paar excellence zu perfektionieren. Und dann mit neuen, hoch innovativen Ansätzen zu paaren: Selbststeuernden Teams, agilen Frameworks, Purposefokussierung und vielem mehr.

Konkret: Bei Google wird alles gemessen was gemessen werden kann. Es wird experimentiert wie in einem Versuchslabor. Nur mit menschlichem Verhalten. Es gibt auch Steuerung und Kontrolle. Sogar viel davon. Aber anders als bei vielen anderen. Sie wird nicht nur von oben nach unten, sondern auch seitlich ausgeführt. Teams bekommen viel Autarkie und können auch querschießen. Oder wie es Laszlo Bock in seinem Google Erklärbuch „Work rules!“ beschreibt:

"The best Googlers apply their own judgement and break the rules when it makes sense" (Work Rules, p. 122)

Und Taylor? Würde das alles wahrscheinlich sehr begrüßen. Immerhin können die meisten nun weit mehr als Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Notwendigkeit für sie vorzudenken entfällt also in vielen Bereichen. Es gibt immer seltener den „one best way“ und somit braucht es aktiv Denkende. Vielleicht hätte Taylor ein mehr an Managern gefordert. Aber eben mit einem modernen Verständnis davon. Nicht im evangelikal wortwörtlichen. (Der Herr möge mir die Wortwahl vergeben).

Aber was ist mit all den Nicht- Googles? Was ist mit all den erstarrten bürokratischen Monstern mit klassischem Management in denen Lebenszeit nur noch verwaltet wird bis die digitale Stechuhr die Erlösung bringt? Was mit all den Managern, die tatsächlich den geistigen Erstickungstod „ihrer“ Mitarbeiter betreiben?

„Herr Taylor? Herr Taylor, Notfallfrage im Meetingraum „Zermatt!“. Herr Taylor schweigt aber seine Monographie spricht Bände. Übertriebene Texttreue und ignorieren sich verändernder Umweltbedingungen würde es wohl heißen.

Vierter Akt. Zusammentreffen der 3 Geschwister aus dem Prolog

Du fragst dich vielleicht: Ist Management jetzt überholt oder nicht? Sollen wir diesen ganzen Wust an neuen Methoden und Organisationsformen jetzt einführen oder lieber bleiben lassen? Und genau so eine digitale Antwort gibt es nicht. Das hier ist ein seriöser Beitrag.

Das wortwörtliche Managementkonzept von 1911 macht nur noch selten Sinn. Zu unvorhersehbar sind Umweltbedingungen und kaum gibt es noch den one-best way. Modern ausgelegte Managementpraktiken können aber sehr erfolgreich sein. Nicht zufällig mixen die erfolgreichsten Konzerne der Welt „Management“ mit „Agile“,“Selbstorganisation“ „Purpose“ und anderen Frameworks. Keiner dieser Konzerne hat Abteilungen grundsätzlich abgeschafft. In allen gibt es Manager. Und und und. Die Ableitung sollte jetzt aber nicht sein: Nachahmen, nachbauen. Auch integrale, auf Selbstorganisation bauende Konzepte können hervorragend funktionieren, wie viele Beispiel von Frederic Laloux zeigen.

Führung, Steuerung, Abstimmung und Planung braucht es in jeder Organisation. Insofern ist die Frage nicht Management ja oder nein. Du ahnst es schon. Die Frage ist vielmehr, welche Funktionen Managementpraktiken sinnvoll in deiner Organisation abbilden können und welche besser aus anderen Frameworks kommen. In meinem vorigen Artikel zu New Work habe ich einige Ansätze skizziert. Das wichtigste: Management nicht verteufeln und in den häufig als New Work beschriebenen Ansätzen kein Heil suchen. Vermutlich wäre es Zeit für so etwas wie eine „Hybride Theorie von Management und New Work“. Denn beides kann gut separat funktionieren und auch gleichzeitig. Wenn wir uns an den Kern der Konzepte halten und nicht an die Dogmen, die wir in ihnen sehen.

Epilog

Die drei Geschwister Agilität, Selbstorganisation und Management schauen nachdenklich von der Bühne runter. Das Management hat Kopfschmerzen. Die Agilität lahmt etwas am Fuß und die Selbstorganisation weiß nicht wohin mit sich. Die drei geben sich versöhnlich die Hände. Jemand aus dem Publikum ruft: „Was soll die Schnulzennummer?“ Steve Jobs grinst in seinen schwarzen Pullover. Vorhang. Licht.

Weiterführende Literatur/ Links und Quellen

W. Taylors Original „The principles of scientific management
Work Rules“ Buch von Laszlo Bock
Reinventing Organizations von Frederic Laloux
Das sagt Jürgen appelo zum bösen Management
Folgen dogmatischen Managements im Film